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Schächten trotz Verfassungsänderung zulässig
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und sunnitischer Muslim. Er lebt seit ca. 25 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland und betreibt eine Metzgerei. Er macht geltend, zwingende religiöse Vorschriften untersagten ihm und seinen muslimischen Kunden den Verzehr von Fleisch vor der Schlachtung betäubter Tiere. Für die Versorgung seiner muslimischen Kunden erhielt er deswegen bis Anfang September 1995 Ausnahmegenehmigungen zum Schlachten ohne Betäubung. Unter Bezugnahme auf ein Urteil des BVerwG vom 15.06.1995, mit dem die Versagung einer Ausnahmegenehmigung für rechtmäßig befunden worden war, verweigerte der Beklagte dem Kläger die Erteilung weiterer Ausnahmegenehmigungen. Nach Erfolglosigkeit der hiergegen eingelegten Rechtsmittel erhob der Kläger Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht hob durch Urteil vom 15.01.2002 die klageabweisenden Gerichtsentscheidungen auf und verwies die Sache an das Verwaltungsgericht zurück (BVerfG NJW 2002, 663, 665). Es stellte fest, dass die Entscheidungen, die die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Schächten ablehnten, den Kläger in seinen Grundrechten verletzten. Die Vorinstanzen haben daraufhin den Beklagten dem Grunde nach verpflichtet, dem Kläger eine Ausnahmegenehmigung zum Schlachten ohne vorherige Betäubung zu erteilen. Hiergegen hat der Beklagte Revision mit der Begründung eingelegt, mit der Einfügung des Tierschutzes als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz im Jahre 2002 hätten sich die Gewichte zugunsten des Tierschutzes verschoben.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision zurückgewiesen. Das Gesetz beabsichtige, sowohl den betroffenen Grundrechten als auch den Zielen des ethischen Tierschutzes Rechnung zu tragen. Dem diene die an enge Voraussetzungen zum Schutz der Religionsfreiheit geknüpfte Ausnahmevorschrift für ein betäubungsloses Schlachten. Hieran habe sich durch die Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz nichts geändert. Eine andere Betrachtung würde einen vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Vorrang des Tierschutzes bedeuten.
BVerwG, Urt. v. 23.11.2005 – BVerwG 3 C 30.05
Quelle: BVerwG, Pressemitteilung 64/2006
Quelle/Autor:
RA Horst Wüstenbecker