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Der BGH präzisiert den zulässigen Rahmen für das Vorführen einer zu Beweiszwecken erstellten Bild-Ton-Aufzeichnung in der Hauptverhandlung

In dem von dem 1. Strafsenat des BGH entschiedenen Fall (Beschluss vom 12.02.2004 – 1 StR 566/03 http://www.bundesgerichtshof.de) rügte der Angeklagte mit seiner Revision die Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (§ 250 StPO) und des § 255 a StPO mit der Begründung, das Instanzgericht habe nach der persönlichen Vernehmung der Belastungszeugen in der Hauptverhandlung in gesetzeswidriger Weise – zusätzlich – die auf Video aufgezeichnete ermittlungsrichterliche Vernehmung dieser beiden Zeugen vorgeführt.

Diese Rüge drang nicht durch. Der 1. Strafsenat des BGH sieht in der vorgenannten Beweisaufnahme keinen Verstoß gegen die §§ 250, 255 a StPO. In Parallele zur Protokollverlesung unterscheidet er vielmehr zwischen der „ergänzenden“ und der „ersetzenden“ Inaugenscheinnahme einer aufgezeichneten Zeugenvernehmung. Nur die Zulässigkeit der Letztgenannten richtet sich nach § 255 a StPO und unterliegt den dort genannten bzw. verwiesenen Einschränkungen. Dagegen ist die „ergänzende“ Vorführung des Vernehmungsvideos ohne weitere Einschränkungen zulässig; d. h., dass das Gericht von Rechts wegen nicht gehindert ist, dem Zeugen bei der persönlichen Vernehmung in der Hauptverhandlung die Bild-Ton-Aufzeichnung vorzuhalten oder sie im Anschluss an seine persönliche Vernehmung ergänzend durch Vorspielen in Augenschein zu nehmen, etwa um die Frage der Aussagekonstanz zu beurteilen.

Der 3. Strafsenat des BGH hob in seiner Entscheidung (Urteil vom 12.02.2004 – 3 StR 185/03 http://www.bundesgerichtshof. de) ein Urteil auf, welches auf einer unzulässigen Vorführung und Verwertung einer Videovernehmung beruhte.

Der zugrunde liegende Sachverhalt zeichnet sich dadurch aus, dass der zeugnisverweigerungsberechtigte Zeuge – der fünfjährige Sohn der angeklagten Eltern – in der Hauptverhandlung keine Aussage machte, weil die beauftragte Ergänzungspflegerin die insoweit erforderliche Zustimmung verweigerte (vgl. § 52 Abs. 2 StPO), das Gericht aber gleichwohl seine auf Video aufgezeichnete ermittlungsrichterliche Vernehmung – für die die Ergänzungspflegerin noch ihre Zustimmung erteilt hatte – in die Hauptverhandlung einführte und verwertete.

Nach der Ansicht des entscheidenden Senats konnte das Instanzgericht sich für die Vorführung dieser („ersetzenden“) Videoaufzeichnung nicht auf § 255a Abs. 1 StPO stützen, da die insoweit zu beachtende Einschränkung des § 252 StPO, der auch für die Konstellation einer fehlenden Zustimmung zur Vernehmung eines Zeugen ohne ausreichende Verstandesreife einschlägig ist (vgl. § 52 Abs. 2 StPO), die vorliegende Verfahrensweise verbietet. Demnach darf die Bild-Ton-Aufzeichnung einer früheren richterlichen Vernehmung nach § 255 a Abs. 1 StPO i.V.m. § 252 StPO nicht zu Beweiszwecken vorgeführt und verwertet werden, wenn ein Zeuge nachträglich von seinem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO Gebrauch macht, obgleich auf das weniger zuverlässige Beweismittel der Vernehmung des Richters – als einzig anerkannte Ausnahme zu dem Beweisverbot des § 252 StPO – zurückgegriffen werden kann.

Unbeantwortet gelassen hat der Senat die Frage, ob der schweigende Zeuge gleichwohl die Vorführung seiner aufgezeichneten Vernehmung gestatten kann (vgl. BGHSt 45, 203), da hier eine solche Erklärung des Zeugen jedenfalls nicht vorlag.

Die Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung war auch nach Maßgabe des § 255 a Abs. 2 StPO unzulässig, da der Beschuldigte gemäß § 168 c Abs. 3 StPO bei der ermittlungsrichterlichen Vernehmung ausgeschlossen war und daher keine Gelegenheit zur Mitwirkung hatte. Entgegen einer verbreiteten Ansicht im Schrifttum wird diese fehlende Mitwirkungsmöglichkeit – nach der Ansicht des BGH – auch nicht durch die Anwesenheit des Verteidigers bei der aufgezeichneten Vernehmung kompensiert.

In einem nicht entscheidungstragenden Teil des Urteils stellt der 3. Strafsenat aber zugleich klar, dass bei Erfüllung aller Voraussetzungen des § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO der Zeuge durch nachträgliche Ausübung seines Zeugnisverweigerungsrechts nicht die Verwertung der Bild-Ton-Aufzeichnung seiner früheren richterlichen Vernehmung verhindern kann, da es sich bei dieser speziell geregelten Konstellation um einen vorverlagerten Teil der Hauptverhandlung handelt, welcher von dem Beweisverbot des § 252 StPO ebenso wenig erfasst werde wie etwaige Angaben eines zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen in der Hauptverhandlung, die dieser vor der (nachträglichen) Ausübung seines Schweigerechts gemacht hat.

Mehr dazu demnächst in der RÜ



Quelle/Autor: Sascha Lübbersmann  

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